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Die Wiederentdeckung des Erntens im urbanen Alltag.
Erster Preis des Wettbewerbs Open Scale München





Agropolis möchte in München eine metropolitane Nahrungsstrategie anregen, die von der Produktion bis zur Zubereitung sowohl eine zukunftsfähige Nahrungsökonomie artikuliert als auch räumlich erfahrbar und erkennbar wird. Im Mittelpunkt stehen die Förderung von Eigenanbau und nachhaltigem Umgang mit der Ressource Boden. Das Ernten wird wieder Teil der alltäglichen Lebensabläufe in der Stadt. Als Modellprojekt wird für das Stadtentwicklungsgebiet Freiham der "Agrikulturpark Freiham" in den Prozeß der Bebauung integriert, der für öffentliche und private Räume eine zusätzliche Dimension städtischer Lebensqualität erschließt.



In Freiham entsteht eine neuartige, attraktive Atmosphäre. Von dort ausgehend trägt entlang der vorgesehenen Erschließungssysteme die "Viktualientram" Nahrungsmittel und Ideen Urbaner Landwirtschaft mitten in die Stadt.



In diesem weiteren Fokus werden mit einer Reihe von Maßnahmen auch innerstädtischere Räume urbar gemacht und immer mehr Münchner in Verbindung mit Praktiken der Ernährungsversorgung gebracht, u.a. mit den integrativen "Grünen Räumen" und dem "Nahrungsstadtplan".






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Die Wiederentdeckung des Erntens im urbanen Alltag.

In Anlehnung an die London Food Strategy kann eine Metropolitane Nahrungsstrategie:
die Gesundheit aller Bewohner verbessern und Münchens Ernährung nachhaltig umbauen,
negative Umweltwirkungen des bisherigen Ernährungssystems deutlich reduzieren,
eine lebendige Nahrungswirtschaft initiieren und unterstützen,
die Münchener Esskultur feiern und fördern,
die Nahrungsmittelqualität und die Ernährung überhaupt sichern.









Ein Beitrag zu:

OPEN SCALE | young & local ideas | München 2009
Interdisziplinärer Ideenwettbewerb
Ein Pilotprojekt im Rahmen der „Nationalen Stadtentwicklungspolitik“ des BMVBS / BBSR
Landeshauptstadt München, Referat für Stadtplanung und Bauordnung



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AGROPOLIS MÜNCHEN
Die Wiederentdeckung des Erntens im urbanen Alltag.


Eine Farm in Freiham.

Die Stadterweiterung Freiham in München wird über mindestens 30 Jahre buchstäblich eine Baustelle sein. Bis zur Fertigstellung der letzten Häuser ist das neue Leben in Freiham von Baugruben, Kränen, Baggern, Brachflächen und einer Atmosphäre des Werdens bestimmt. In unserem Vorschlag geht es darum, dieses Werden direkter im Raum auszudrücken und die klassische - und in München sehr vorrausschauende - Zwischennutzung künftiger Bauflächen als Acker noch konsequenter zu betreiben. Bagger und Traktoren werden sich nicht ablösen, sondern nebeneinander eine neue Form von Stadt generieren: Agropolis. In weiteren Schritten kann diese Zwischennutzung ein Baustein sein, um Landwirtschaft und Ernährung gezielt in die Entwicklung der Metropole München zu integrieren - um urbane Dichte zu konsolidieren und eher noch zu verstärken.






Temporäre Urbane Landwirtschaft.

Die Flächen in Freiham werden bis zur Bebauung in einer intensiven Form urbaner Landwirtschaft zwischengenutzt. Dazu wird eine temporäre Farm völlig neuen Zuschnitts errichtet, die eine transparente Verbindung von Produktion, Veredelung und Vermarktung von Lebensmitteln herstellt. Musteranlagen kleinteiliger Küchen-, Balkon- und Dach-Landwirtschaft liefern Impulse für die Stadterweiterung. Die Farm fördert die Anlage von Gemeinschaftsgärten und wirkt als kommunikativer und integrativer Pol. Sie ermöglicht Kreislaufsysteme in erneuerbaren Energien und nachwachsenden Rohstoffen. Ein nachhaltiges Image Freihams über Niedrig- und Nullenergiehäuser und Maßnahmen eines nachhaltigen Städtebaus hinaus wird substantiell gestaltet. Kooperationen mit Forschungseinrichtungen, Aus- und Fortbildungsprogramme, Selbstanbau, -ernte und -verarbeitung, sowie Kinder- und Schülerprogramme werden verzahnt und eröffnen unmittelbare Erfahrung und Vermittlung von Fertigkeiten im Umgang mit natürlichen Grundlagen. Besucher- und Kundenströme werden nach Freiham gelenkt, der Stadtteil gewinnt eine charakteristische Prägung, höhere Lebensqualität und Freizeitwert. Die Farm selbst als temporäres Bauwerk bezieht sich dabei - entsprechend der Maxime Bagger und Traktor - auf die temporäre Einrichtung von Baustellenstädten aus Kontainern und Hochsilos.



Die neue Rolle urbaner Landwirtschaft.

Jede Diskussion über Nachhaltigkeitsziele und Energieeinsparung legt regionale Produktion von Lebensmitteln nahe, es wird wesentlicher sein, die Mobilität von Menschen aufrechtzuerhalten als die von Lebensmitteln. Mit der global wachsenden Nachfrage nach Lebensmitteln aufgrund von Bevölkerungswachstum und Flächenverringerung wächst der Anspruch an landwirtschaftliche Flächen gerade in absehbar durch den Klimawandel begünstigten Bereichen wie Mitteleuropa, wo plötzlich auch Bodenmelioration sinnvoll wird. Tendenziell bis zu 8 Grad wärmere innerstädtische Bereiche können attraktive Anbauflächen sein, umgekehrt wird dadurch das Stadtklima gemildert und ausgeglichen. Es werden wachsende gesellschaftliche Ansprüche an gesunde Ernährung als Teil eines gesunden Lebens in umfassenden Sinn gestellt, nicht nur in der ungebrochenen Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln oder dem Wunsch nach kostengünstiger Selbstversorgung. Alle drei Faktoren können zu einer Neubewertung der Rolle von Landwirtschaft und Ernährung für die städtebauliche Entwicklung von München führen.



Eine Metropolitane Nahrungsstrategie.

Lebensmittelproduktion, -veredelung und -vermarktung einerseits und alltägliche sowie festive Nahrungszubereitung werden aus getrennten Welten und Räumen wieder zusammengeführt. Die Farm in Freiham als Teil einer umfassenden Nahrungsstrategie wird vielfältige Interaktionen generieren, Pioniere ermuntern und mikroinvasiv in der ganzen Stadt wirken.

In Anlehnung an die London Food Strategy kann eine Metropolitane Nahrungsstrategie:
die Gesundheit aller Bewohner verbessern und Münchens Ernährung nachhaltig umbauen,
negative Umweltwirkungen des bisherigen Ernährungssystems deutlich reduzieren,
eine lebendige Nahrungswirtschaft initiieren und unterstützen,
die Münchener Esskultur feiern und fördern,
die Nahrungsmittelqualität und die Ernährung überhaupt sichern.

Dafür kann auf viele erfolgreiche Initiativen aufgebaut werden: Die städtischen Höfe, das Krautgarten-Programm, die Serie der Bauernmärkte, der Viktualienmarkt, die Grüngürtel-Bauernhöfe, die über 4000 ha landwirtschaftliche Fläche in München. Der Ritus des Selbst-Mitbringens in den Biergärten wird weiterentwickelt zu einer Neuentdeckung der Ernte als urbaner Tätigkeit. Über gezielte Einbeziehung der Gastronomie und der kulturellen Vielfalt der Metropole wird eine Erneuerung der Esskultur und Alltagsküche erreicht, der Mittagessen in Kindergärten und Schulen. Die kreative Aneignung von untergenutzten Flächen wie Flachdächern, Fassaden, Lücken und Nischen, die Aufwertung von Hausgärten, Balkonen und Gemeinschaftsgärten folgt der Maxime, Dichte eher zu verstärken und Nutzung zu intensivieren.

Die Vernetzung, Interaktivität und Neufindung der einzelnen Bausteine der Agropolis werden in einem Nahrungsstadtplan abgebildet. Über Installationen wird Bewusstseinsbildung erreicht: Salzstreuer-Fahrzeuge verteilen Samen, es wird eine Tafel auf der Ludwigstrasse aufgebaut, temporäre landwirtschaftliche Pflanzungen in Parks und auf öffentlichen Plätzen angelegt. Indem gezielt Vorstellungswelten industrialisierter Landwirtschaft wie Silos oder Mähdrescher thematisiert werden, wird eine Diskussion über neue Dimensionen und die Wiederentdeckung von Kleinteiligkeit und Nutzerbezug hergestellt. Dabei geht es nicht um Bilder, sondern konkret darum, die Bewegungen des Erntens im alltäglichen Tagesablauf der metropolitanen Münchener als Motor von Raumproduktion zu begreifen.





Metropolitane Autarkie.

Analog zur neuen Verantwortung der Städte im Bereich autarker Energieversorgung bietet eine autarke Nahrungsversorgung nicht nur Sicherheit gegenüber globalen Veränderungen und entspricht einer Neubewertung der Binnenwirtschaft. Urbane Landwirtschaft ist nicht mehr nur ein Phänomen des Stadtrands, das bisher unter Immissions-, Zugänglichkeits- und Umweltschutzaspekten betrachtet wird. Das Handlungsfeld für urbane Landwirtschaft und Ernährungsvorsorge wird auf die gesamte Metropolregion übertragen. Es erscheint generell möglich und sinnvoll, metropolitane Autarkie in der Nahrungsversorgung zu erreichen. Dabei sind - über die Einbindung von Initiativen wie Unser Land, Hermannsdorfer, Öko-Kiste, die Bioenergieregion Oberland u.a.m. hinaus - interkommunale Allianzen zur Nahrungsmittelsicherung notwendig, wie dies bei der Wasserversorgung bereits geschah. Eine neue Form von städtischer Kulturlandschaft kann zur räumlichen Orientierung und Klärung der zersiedelten Areale des Metropolgebiets und zum Erhalt von traditionellen kleinstrukturierten Kulturlandschaften beitragen. Kleinteiligkeit, schnelle Reaktionsfähigkeit, Infiltration und Umwandlung stellen sich als eigentliche Stärke urbaner Landwirtschaft heraus.



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Agropolis München
Die Wiederentdeckung des Erntens im urbanen Alltag
ernten@agropolis-muenchen.de




© 2009 Joerg Schroeder, Tobias Baldauf, Margot Deerenberg, Florian Otto, Kerstin Weigert.
Alle Rechte bei den Autoren.

Joerg Schroeder, Architekt und Stadtplaner, München
landraum

Tobias Baldauf, Landschaftsarchitekt und Stadtplaner
bauchplan ).( München-Wien

Margot Deerenberg, Stadtsoziologin, Wien-Amsterdam

Florian Otto, Landschaftsarchitekt und Stadtplaner
bauchplan ).( München-Wien

Kerstin Weigert, Architektin und Stadtplanerin
landraum



Mitarbeit Magazin und Ausstellung:
Eva-Maria Aurbach, Melanie Hammer, Elise Matter, Johannes Meier, Claudia Schott, Josua Schütz, Carina Steidele, Luminita Tabirca, Kilian Winhart, Max Zitzelsberger



Dank an:
Marie-Theres Okresek, Josef Rott, Thorsten Haase, Peter Kneidinger,
sowie an Edward Beierle für die Fotos!



Wir freuen uns über Ihre Kommentare und Anregungen
ernten(at)agropolis-muenchen.de